Abstrakte und konkrete Kritik an CERN von H. Maturana und R. Malina auf der Ars Electronica
Der französische Astronom und „Leonardo„–Herausgeber Roger Malina wünscht sich, dass die LHC–Sicherheitsfrage in einem offenen Kontext und nicht nur im geschlossenen Rahmen von CERN erörtert werde.
Das Kunst– und Technologiefestival in Linz widmete sich heuer unkritisch der Huldigung des gigantischen Teilchenbeschleunigers LHC und des Kernforschungszentrums CERN. Dieses lockte seinerseits mit einem Kunstpreis und will mit der Kunst „enger zusammenarbeiten„. Die Einsprüche waren vor allem philosophischer Art – und die hatten es in sich.
In seinem beeindruckenden und allgemein verständlichen Vortrag beschrieb Maturana die Grenzen unseres Wissens und dem, was wir gemeinhin für „objektiv„ oder die „Realität„ halten und spickte seine Ausführungen mit einigen trefflichen Pointen: „Sei realistisch, sei objektiv!„ heiße doch nur, dass man sich wünsche, der Diskussionspartner denke endlich so wie man selbst. Gleichzeitig grenzte er seinen für die Gegenwartsphilosophie so einflussreichen konstruktivistischen Ansatz vom Solipsismus deutlich ab. Vor allem im Zusammenhang mit dem diesjährig von der Ars Electronica ins Rampenlicht gestellten Kernforschungszentrum CERN und dessen experimentellen subnuklearen Forschungsreaktor LHC handelt es sich um höchst wichtige Reflexionen, was die versammelte CERN–Prominenz teils unangenehm erstaunt, teils mit Unverständnis zur Kenntnis nehmen musste.
Ob es denn nicht problematisch sei, dass CERN sich selbst kontrolliere und ob zur Klärung der LHC–Sicherheitsfrage, die immerhin verschiedene – sogar von einem Physik–Nobelpreisträger artikulierte – existentielle Risiken beinhalte, nicht zumindest die Hinzuziehung einer weiteren Wissenschaft außer der Physik, wie bspw. der Risikoforschung notwendig sei, wurde Maturana gefragt und er antwortete (im Video ab ca. 1:17): „Wir als Menschen können immer darüber reflektieren was wir tun, wir können immer entscheiden es zu tun oder nicht zu tun. Die Frage stellt sich daher: Wie reflektieren wir als Wissenschaftler über das was wir tun? Nehmen wir unsere Verantwortung ernst, unsere Verantwortung dafür, was wir tun? […] Wir sind immer in der Gefahr zu denken: ‚Ich habe die Wahrheit gefunden‘. Und in einer Kultur der Wahrheit, in einer Kultur der Gewissheit besteht diese Gefahr, weil Wahrheit und Gewissheit sind nicht wie wir denken, Gewissheit ist eine Emotion. Ich bin sicher heißt: Ich weiß nicht. [Ich kann mich sicher fühlen über etwas das unbekannt ist…] Wir können nicht vorgeben, anderen etwas aufzudrängen, wir müssen Domänen der Interrogativität schaffen.„
Sergio Bertolucci (CERN) ging in seiner Wortmeldung erst gar nicht darauf ein und entgegnete mit dem System des Peer–Review und dem „Höhenstrahlen–Argument„, wonach viel energetischere Teilchenkollisionen in der Erdatmosphäre natürlicherweise stattfänden und da sei auch noch nichts passiert. (Dieses Sicherheitsargument kann allerdings auch im engeren physikalischen Sinne angezweifelt werden, bspw. da solche Kollisionen erst indirekt gemessen werden konnten und die Kollisionsfrequenz am LHC um einen astronomischen Wert höher ist.)
CERN–Direktor Rolf Heuer und der neu bestellte Leiter des MIT Media Lab, Joichi Ito, hielten daraufhin einen kurzen gefälligen Talk über „Managing Science and Innovation„. Den zweiten Vortrag des „Origin„ Symposion III eröffnete der Astronom und „Leonardo„–Herausgeber (MIT Press) Roger Malina mit einer aufrüttelnden Feststellung: „95% des Universums ist von unbekannter Natur: ‚Dunkle Materie‘ und ‚Dunkle Energie‘. Wir wissen ein wenig wie es sich verhält aber wir haben keinen Clue was es sein könnte. Es emittiert kein Licht, es reflektiert kein Licht. […] Ein wirklich demütigender Gedanke. […] Wir sind die Dekoration im Universum.„
Jedoch: „Neugier ist nicht neutral.„ Und wo die Astrophysik nicht weiter komme, dort könne nach Roger Malina eine Kooperation von Wissenschaft und Kunst aus verschiedenen Gründen vielleicht fruchtbar sein und letztendlich zu einer besseren Wissenschaft führen. Allerdings war nicht ganz verständlich, warum das Verhältnis von Natur– und Geisteswissenschaften hierbei nicht extra ausdifferenziert wurde.
Die beste (natur–)wissenschaftliche Ethik (intellektuelle Ehrlichkeit, Unabhängigkeit etc.) habe einen fundamentalen Fehler („flaw„). Denn: Neugier ist inkorporiert („embodied„). „Man kann sie nicht in ein neutrales Ideal wissenschaftlicher Neugier verwandeln„, erklärte Malina und bezog sich dabei auf den Vortrag von Maturana, um dessen Kollegen Varela zu zitieren: „Jedes Wissen hängt von der Struktur des Wissenden ab.„
An einer besseren Kooperation verschiedener Kompetenzen führe auch gar kein Weg vorbei, denn: „Es gibt gesellschaftliche Probleme, die so erheblich sind, dass wir unsere Kultur ändern müssen, um sie zu lösen. […] Um das nächste Jahrhundert zu überleben, können wir unsere wissenschaftliche Aktivität nicht im Elfenbeinturm vollziehen. Ich glaube wirklich, dass wir mit diesem Modell brechen müssen.„ Daraufhin direkt auf die LHC–Risikodiskussion zurückkommend äußerte der Astronom Malina offenen Widerspruch: Er hätte sich von CERN generell einen viel offeneren Umgang erhofft, anstatt dies nur im engeren Feld der Teilchenwissenschaft abzuhandeln, konkret: „Ich würde mir wünschen, als CERN die Risiken besprochen hatte, dass dies in einem offenen Kontext und nicht nur im geschlossenen Rahmen von CERN geschehen wäre.„
Videoaufzeichnungen des „Origin III„ Symposium der Ars Electronica am 3. September 2011:
Humberto Maturana (deutsche Simultanübersetzung):
Roger Malina (deutsche Simultanübersetzung):
„Origin„ Symposia:
www.aec.at/origin/category/conferences
Weitere Infos, Links und Transkriptionen der Vorträge bei „LHC–Kritik – Netzwerk für Sicherheit an experimentellen subnuklearen Reaktoren„:
LHC–Concern.Info
Das Kunst– und Technologiefestival in Linz widmete sich heuer unkritisch der Huldigung des gigantischen Teilchenbeschleunigers LHC und des Kernforschungszentrums CERN. Dieses lockte seinerseits mit einem Kunstpreis und will mit der Kunst „enger zusammenarbeiten„. Die Einsprüche waren vor allem philosophischer Art – und die hatten es in sich.
In seinem beeindruckenden und allgemein verständlichen Vortrag beschrieb Maturana die Grenzen unseres Wissens und dem, was wir gemeinhin für „objektiv„ oder die „Realität„ halten und spickte seine Ausführungen mit einigen trefflichen Pointen: „Sei realistisch, sei objektiv!„ heiße doch nur, dass man sich wünsche, der Diskussionspartner denke endlich so wie man selbst. Gleichzeitig grenzte er seinen für die Gegenwartsphilosophie so einflussreichen konstruktivistischen Ansatz vom Solipsismus deutlich ab. Vor allem im Zusammenhang mit dem diesjährig von der Ars Electronica ins Rampenlicht gestellten Kernforschungszentrum CERN und dessen experimentellen subnuklearen Forschungsreaktor LHC handelt es sich um höchst wichtige Reflexionen, was die versammelte CERN–Prominenz teils unangenehm erstaunt, teils mit Unverständnis zur Kenntnis nehmen musste.
Ob es denn nicht problematisch sei, dass CERN sich selbst kontrolliere und ob zur Klärung der LHC–Sicherheitsfrage, die immerhin verschiedene – sogar von einem Physik–Nobelpreisträger artikulierte – existentielle Risiken beinhalte, nicht zumindest die Hinzuziehung einer weiteren Wissenschaft außer der Physik, wie bspw. der Risikoforschung notwendig sei, wurde Maturana gefragt und er antwortete (im Video ab ca. 1:17): „Wir als Menschen können immer darüber reflektieren was wir tun, wir können immer entscheiden es zu tun oder nicht zu tun. Die Frage stellt sich daher: Wie reflektieren wir als Wissenschaftler über das was wir tun? Nehmen wir unsere Verantwortung ernst, unsere Verantwortung dafür, was wir tun? […] Wir sind immer in der Gefahr zu denken: ‚Ich habe die Wahrheit gefunden‘. Und in einer Kultur der Wahrheit, in einer Kultur der Gewissheit besteht diese Gefahr, weil Wahrheit und Gewissheit sind nicht wie wir denken, Gewissheit ist eine Emotion. Ich bin sicher heißt: Ich weiß nicht. [Ich kann mich sicher fühlen über etwas das unbekannt ist…] Wir können nicht vorgeben, anderen etwas aufzudrängen, wir müssen Domänen der Interrogativität schaffen.„
Sergio Bertolucci (CERN) ging in seiner Wortmeldung erst gar nicht darauf ein und entgegnete mit dem System des Peer–Review und dem „Höhenstrahlen–Argument„, wonach viel energetischere Teilchenkollisionen in der Erdatmosphäre natürlicherweise stattfänden und da sei auch noch nichts passiert. (Dieses Sicherheitsargument kann allerdings auch im engeren physikalischen Sinne angezweifelt werden, bspw. da solche Kollisionen erst indirekt gemessen werden konnten und die Kollisionsfrequenz am LHC um einen astronomischen Wert höher ist.)
CERN–Direktor Rolf Heuer und der neu bestellte Leiter des MIT Media Lab, Joichi Ito, hielten daraufhin einen kurzen gefälligen Talk über „Managing Science and Innovation„. Den zweiten Vortrag des „Origin„ Symposion III eröffnete der Astronom und „Leonardo„–Herausgeber (MIT Press) Roger Malina mit einer aufrüttelnden Feststellung: „95% des Universums ist von unbekannter Natur: ‚Dunkle Materie‘ und ‚Dunkle Energie‘. Wir wissen ein wenig wie es sich verhält aber wir haben keinen Clue was es sein könnte. Es emittiert kein Licht, es reflektiert kein Licht. […] Ein wirklich demütigender Gedanke. […] Wir sind die Dekoration im Universum.„
Jedoch: „Neugier ist nicht neutral.„ Und wo die Astrophysik nicht weiter komme, dort könne nach Roger Malina eine Kooperation von Wissenschaft und Kunst aus verschiedenen Gründen vielleicht fruchtbar sein und letztendlich zu einer besseren Wissenschaft führen. Allerdings war nicht ganz verständlich, warum das Verhältnis von Natur– und Geisteswissenschaften hierbei nicht extra ausdifferenziert wurde.
Die beste (natur–)wissenschaftliche Ethik (intellektuelle Ehrlichkeit, Unabhängigkeit etc.) habe einen fundamentalen Fehler („flaw„). Denn: Neugier ist inkorporiert („embodied„). „Man kann sie nicht in ein neutrales Ideal wissenschaftlicher Neugier verwandeln„, erklärte Malina und bezog sich dabei auf den Vortrag von Maturana, um dessen Kollegen Varela zu zitieren: „Jedes Wissen hängt von der Struktur des Wissenden ab.„
An einer besseren Kooperation verschiedener Kompetenzen führe auch gar kein Weg vorbei, denn: „Es gibt gesellschaftliche Probleme, die so erheblich sind, dass wir unsere Kultur ändern müssen, um sie zu lösen. […] Um das nächste Jahrhundert zu überleben, können wir unsere wissenschaftliche Aktivität nicht im Elfenbeinturm vollziehen. Ich glaube wirklich, dass wir mit diesem Modell brechen müssen.„ Daraufhin direkt auf die LHC–Risikodiskussion zurückkommend äußerte der Astronom Malina offenen Widerspruch: Er hätte sich von CERN generell einen viel offeneren Umgang erhofft, anstatt dies nur im engeren Feld der Teilchenwissenschaft abzuhandeln, konkret: „Ich würde mir wünschen, als CERN die Risiken besprochen hatte, dass dies in einem offenen Kontext und nicht nur im geschlossenen Rahmen von CERN geschehen wäre.„
Videoaufzeichnungen des „Origin III„ Symposium der Ars Electronica am 3. September 2011:
Humberto Maturana (deutsche Simultanübersetzung):
Roger Malina (deutsche Simultanübersetzung):
„Origin„ Symposia:
www.aec.at/origin/category/conferences
Weitere Infos, Links und Transkriptionen der Vorträge bei „LHC–Kritik – Netzwerk für Sicherheit an experimentellen subnuklearen Reaktoren„:
LHC–Concern.Info