„Wettbewerbsfähigkeitskompass“ der EU-Kommission muss auf Gemeinwohl ausgerichtet sein!
Der vor kurzem veröffentlichte „Competitiveness Compass“ spiegelt die Bedenken der Unternehmen hinsichtlich der Energiekosten und der wirtschaftlichen Herausforderungen wider, lässt aber zentrale Prioritäten wie Null-Schadstoffbelastung und das Wohlergehen der Bürger außer Acht und schafft es nicht, die europäische Wirtschaft in Richtung einer sauberen, prosperierenden und kreislauforientierten Zukunft zu führen.
Die Förderung einer wettbewerbsfähigen Dekarbonisierung ohne die Einbeziehung sozialer und ökologischer Ziele untergräbt den eigentlichen Zweck der EU-Institutionen: dem Gemeinwohl zu dienen und es zu verteidigen, erinnert das Europäische Umweltbüro (EEB), Europas größtes Netzwerk von Umwelt-NGOs.
Christian Schaible, Policy Manager für Zero Pollution Industry, sagt:
„Die EU ist mehr als nur ein Markt. Der Wettbewerbsfähigkeitskompass muss eine klare Richtung angeben: nachhaltiger Wohlstand für alle. Derzeit fehlen der Strategie wichtige Indikatoren, um sicherzustellen, dass die EU der Gesellschaft als Ganzes dient und die heutigen sozialen und ökologischen Krisen angeht. Auf einem toten Planeten gibt es keine Marktwettbewerbsfähigkeit.“
Wichtige Erkenntnisse
Das EEB (Europäisches Umweltbüro) hebt mehrere Themen hervor, die besondere Aufmerksamkeit verdienen:
Abschwächung nationaler Ambitionen: Zum ersten Mal ruft die Kommission ausdrücklich dazu auf, „Gold Plating“ zu bekämpfen, also die Praxis, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von EU-Gesetzen strengere Maßnahmen ergreifen. Während einige Branchen dies als „Überregulierung“ betrachten, ist die Billigung der Kommission überraschend, da ihre Rolle darin besteht, sicherzustellen, dass die politischen Ziele der EU erreicht werden, und nicht darin, strengere nationale Maßnahmen zu verhindern.
Ein gefährliches 30-Prozent-Vereinfachungsziel: Eine Vereinfachung der Regulierung ist zwar zu begrüßen, aber eine Vereinfachung ohne gründliche Prüfung könnte wichtige Gesundheits-, Sozial- und Umweltschutzmaßnahmen untergraben. Es sind nicht die Regulierungen, die die Innovationskraft der Unternehmen behindern, sondern das Fehlen klarer Regeln. Eine weitere Deregulierung würde nur ein Klima der Unsicherheit schaffen und Vorreiter bestrafen, während sie Fortschritt und Nachhaltigkeit gefährdet.
Produktivität ist nicht gleich Wohlstand und Zirkularität nicht gleich Recycling : Das Streben nach Produktivität an sich führt nicht zu Wohlstand und führt eher zur Ausbeutung von Ressourcen über die Grenzen des Planeten hinaus. Die EU sollte sich auf die Ressourcensuffizienz konzentrieren und die negativen externen Effekte neuer fortschrittlicher Technologien berücksichtigen.
„Technologieneutralität“ ist nicht wettbewerbsfähig: Die EU muss ihre begrenzte Zeit und Ressourcen auf bewährte, kosteneffiziente Lösungen zur Emissionsminderung wie erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Netze konzentrieren und nicht auf kostspielige und riskante Spekulationen wie neue Atomkraftwerke, überdimensionierte Wasserstoffprojekte und unsichere CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS). Darüber hinaus müssen verbindliche Emissionsreduktionspfade festgelegt werden, insbesondere für Sektoren, in denen die Emissionsreduktion schwierig ist, um sicherzustellen, dass die Industrie zur Verantwortung gezogen wird und rechtzeitig auf Klimaneutralität hinarbeitet.
Die Bedeutung öffentlicher Investitionen in strategische Sektoren wird vernachlässigt: Der Kompass vernachlässigt die Notwendigkeit zusätzlicher finanzieller Mittel, um den sozial-ökologischen Wandel voranzutreiben, sei es durch einen erhöhten EU-Haushalt oder durch gemeinsame Kredite der EU. Die EU braucht dringend öffentliche Investitionen in wichtige Sektoren wie Gesundheitsversorgung, nachhaltiges Wohnen, ungiftige Produkte und widerstandsfähige Lebensmittelsysteme. Darüber hinaus sollten verbindliche Kriterien für die öffentliche Beschaffung eingeführt werden, um sicherzustellen, dass öffentliche Mittel Projekte, Produkte, Dienstleistungen und Materialien unterstützen, die den höchsten Umwelt- und Sozialstandards entsprechen.
Die EU ist mehr als ein Marktplatz: Die Abhängigkeit des Compass von privaten Kapitalmärkten und die Vereinfachung zur Steigerung des Produktivitätswachstums werden vor allem Unternehmen und Banken zugutekommen. Um Europas industrielle und produktive Kapazitäten wiederzubeleben, brauchen wir starke Regierungen, die den Markt disziplinieren und Reformen anstoßen können, um unsere Wirtschaft umweltfreundlicher zu gestalten und unsere öffentliche Infrastruktur und Dienstleistungen wiederzubeleben.
Senkung der Energiekosten: Der Kompass enthält vielversprechende Elemente zur Senkung der Energiekosten, wie etwa erhöhte Investitionen in Infrastruktur und Elektrifizierung, einfachere Stromabnahmeverträge und „besser konzipierte Tarifmethoden“. Ein solcher Plan muss sicherstellen, dass die nachhaltigste Energie auch die billigste ist und dass die Tarife so strukturiert sind, dass fossile Brennstoffe bestraft werden. Die Strategie übersieht jedoch die entscheidende Rolle von Energieeffizienz und -suffizienz bei der Kostensenkung für Industrie und Haushalte. Auch das Potenzial von Abwärme und erneuerbarer Wärme – zwei Schlüsselfaktoren zur Senkung der industriellen Energiekosten – wird nicht berücksichtigt.
Bessere Koordinierung: Die Einbeziehung des Instruments zur Koordinierung der Wettbewerbsfähigkeit kann dazu beitragen, gemeinsame Prioritäten für die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu schaffen. Die Einbeziehung der Energieinfrastruktur in die ersten Pilotprojekte ist zu begrüßen, sollte jedoch stärker auf Elektrifizierung und Energieeffizienz ausgerichtet sein. Darüber hinaus sollte das Instrument zur Koordinierung der Wettbewerbsfähigkeit den gemeinsamen Einkauf wichtiger erneuerbarer Rohstoffe, wie etwa erneuerbarem Wasserstoff, prüfen und deren Nutzung für die emissionsintensivsten Sektoren priorisieren.